Was ist eigentlich Neokolonialismus?
Neokolonialismus ist ein Wort, dessen Bedeutung gern etwas gedehnt und verändert wird, je nachdem, wem es nützt oder schadet. Eine Definition lautet wie folgt:
"Neokolonialismus ist eine Bezeichnung für das Verhältnis zwischen den Staaten und Konzernen der Industrienationen und Ländern des Globalen Südens nach Auflösung der Kolonialreiche im 20. Jahrhundert."
Für uns ist er schlichtweg die Weiterführung des Kolonialismus, der ca. 450 Jahre dauerte und offiziell erst 1982 endete, dem Jahr, in dem Simbabwe als letzte Kolonie seine „Unabhängigkeit“ erlangte.
Was also ist dann Kolonialismus?
"Kolonialismus ist auf Erwerb und Ausbau von Kolonien gerichtete Politik (einzelner Staaten) unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen, militärischen und machtpolitischen Nutzens bei gleichzeitiger politischer Unterdrückung und wirtschaftlicher Ausbeutung der abhängigen Völker."
Unserer bescheidenen Handelserfahrung nach hat sich daran nicht viel geändert, nur dass anstelle von Staaten nun v.a. Konzerne Hand in Hand mit Regierungen entsprechende Politik betreiben.
Und was hat das mit mir zu tun?
Sehr viel. Denn 450 Jahre koloniales Denken hinterlässt Spuren, ob man es wahrhaben möchte oder nicht.
Zwei Euro für ein Kilo Bananen? Das ist aber teuer! Ein Pfund Kaffee mehr als 5 Euro? Das ist ja unverschämt!
Wer hat diese oder ähnliche Sätze nicht schon gedacht oder zumindest gehört? Nun, sie sind Ausdruck kolonialistischen Denkens. Weshalb? Wer so denkt, erhebt den Anspruch, dass landwirtschaftliche Produkte, die nicht in unseren Breitengraden wachsen, immer billig sein müssen und am besten das gesamte Jahr über im Angebot.
Haben Sie sich je gefragt, warum ein Kilo deutsche Äpfel oftmals mehr kostet als ein Kilo Bananen, importiert aus Ecuador? Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass es allein daran liegt, weil die Arbeitskosten in Deutschland wesentlich höher sind als in Entwicklungsländern“ am anderen Ende der Welt. Und selbst wenn dies der Grund sein sollte, dann wird es Zeit sich zu fragen, was denn der Bananenpflücker von 2 Euro Endpreis abbekommt. Oder wie viel denn beim Kaffeebauer bzw. Erntehelfer von 5 Euro für 500g Röstkaffee ankommt? 32 Cent Umsatzsteuer sowie 1,09 Euro Kaffeesteuer sind in diesem Fall schon mal für die deutsche Staatskasse bestimmt. Scheint fast so, als würden an der Arbeit des Kaffeeanbaus zumeist völlig Unbeteiligte verdienen. Hinzukommen diverse Zwischenhändler, Aufwendungen für Pestizide u.ä., Zertifizierungskosten, Importaufwand, Röstkosten, Verpackung und und und.
Was bleibt am Ende übrig?
So gut wie gar nichts. Und das auf beiden Seiten. Der Bauer vegetiert dahin und wir akzeptieren minderwertige und häufig auch gesundheitsschädigende Produkte auf Kosten eines abgestumpften Gewissens. Am Ende bleibt die ungerechte Selbstbereicherung Dritter.
Wollen wir das wirklich? Wird es nicht Zeit umzudenken? Zeit, die Augen zu öffnen und genauer hinzuschauen? Zeit, hier und da zu verzichten, um letztendlich etwas wirklich Wertvolles zu gewinnen?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Werte inflationär „gehandelt“ werden und das Wort an sich jeden Wertes beraubt wurde. Es lohnt sich nicht nur, sondern ist auch bitter nötig, einmal innezuhalten und über Werte nachzudenken.
Vielleicht bei einer hochwertigen Tasse Kaffee, in Gesellschaft wertvoller Menschen.
“Heutzutage kennt ein Mensch von allen Dingen den Preis, aber von keinem den Wert.”
Oscar Wilde